Morgens steig ich in mein Bett. Langsam fährt es ins Büro. Die Kollegen setzen sich dazu, bis der Chef kommt. Er bringt für jeden ein Glas Öl. Wir kommen auf Hochtouren, springen von einem Lager zum anderen, tragen die Ergebnisse unserer Sprünge auf riesigen Bettlaken ein. Mittags erscheint das Frische-Wind-Team und pustet im Laufe des Tages angehäufte Spinnweben auf einen Haufen. Daraus weben wir eine silberne Hängebrücke, auf der abends alle zu glitzernden Lichtern hinüberlaufen. Jeder sucht sich einen Platz, die Füße tanzen in den Himmel, Augenlider bedecken wissende Augen, und die Münder schweigen zu innerlich summendem Wispern.
© Ursel Schmid
Früher hat sie frische Eier hingestellt. Die Nachbarn liebten sie dafür, und sie liebte die Nachbarn. Die sind schon lange umgezogen. Solche Leckereien gibt‘s nicht mehr hier im Grünen. Mich mag sie nicht. Neulich hat sie mich mit schmalen Augen beobachtet und ihren Mund verzogen. Ich habe mich nicht beirren lassen, bin keck weiterspaziert. Sie hat mit den Händen geklatscht, dann hektisch etwas in ihr Handy eingetippt und laut gebrummt. Seit Monaten stellen sie große schwarze Gefäße auf. Der herausströmende Duft lockt mich an. Der Deckel liegt nur lose auf. Eine Gabe für alle, dachte ich … lecker, diese bunte Vielfalt. Das meiste kippt sie später in grüne Wannen. Die ganze Pracht verschwindet in rosa schlabbernden Schlünden. Das schmeckt mir nicht so. Aber, das Biest, sie hat die Taktik geändert. Sie drückt den Deckel auf den Gefäßen fest. Jetzt krieg ich nichts mehr auf, egal wie viel Kraft ich aufwende. Werden immer geiziger, diese zweibeinigen Wesen.
© Ursel Schmid
Ich hüpfe hin und her, als meine Trägerin auf ihre Mutter zustürmt. Meistens lässt sie meine Einzelteile herumhängen, ohne uns zu bändigen. Heute aber sind wir säuberlich zusammengebunden. Die Mama greift ihre Hand, langsam schreiten wir auf einen Stuhl zu. „Komm setz dich, Merle. Du bist sicher?“ Die Kleine spricht ernst. „Ja, völlig, es ist für die gute Sache. Die krebskranken Kinder!“ Eifrig nickt sie, und ich nicke mit. Dann sehe ich die große Schere in der Hand ihrer Mutter. Ein Zucken durchfährt mich. Der Arm hebt sich, und ich weiß genau, jetzt geht es mir an den Kragen. Ein kräftiger Schnitt. Ich falle. Weich gleite ich auf den Boden. Leicht benebelt werde ich hochgehalten. Wohlgefällig betrachtet die Mutter die geflochtene rote Pracht. „Damit bereiten wir einem kleinen Mädchen eine riesige Freude“, strahlt sie meine einstige Trägerin an. Dann packt sie mich vorsichtig in Seidenpapier. Es wird dunkel.
© Ursel Schmid