Sie sitzt, bis Kälte ihr hochkriecht, ihr Gehirn arbeitet wirr, als hätte sie an der Zapfsäule zu lange eingeatmet. Er starrt sie an, mit diesem Blick einer
Anakonda vor der Beute.
Seine Augen wirken undurchdringlich. Wie weit wird er gehen? Kurz ist sie in Versuchung, verächtlich zu grunzen. Es erstirbt nach einem Blick in die stechenden
Pupillen über den hohen Wangenknochen. Nun ist es an ihm. Er entlässt einen langen Seufzer. Knackt mit den Fingerknöcheln. Sie schaudert. Innerlich. Ihre Muskeln hat sie im Griff. Trotz der
lähmenden Furcht, die sie beherrscht, sie dazu bringt, schreien zu wollen. Als müsse sie die Welt warnen vor der Kraft der Medusa, die aus seinen Poren hervorquillt. Er beugt sich nach vorne.
Haucht durch wulstige Lippen den Odem des Verderbens. Die graue Wolke wickelt sie ein. Kann man vor Angst sterben? Fast wünscht sie es sich.
Meine Freundin sitzt mit meinen Eltern oben auf dem Kleiderschrank. In seltsamer Verschwisterung lassen sie Weinflaschen kreisen, winken lachend zu mir herunter und bedeuten mir, mich zu ihnen zu gesellen.
„Ihr seid doch tot!“ Fragend schaue ich rauf. „Ich lebe.“
Milde lächelnd betrachten Ma und Pa mich. Meine Freundin sieht plötzlich wie eine Schneeeule aus. Lautlos dreht sie ihren Kopf um 360 Grad. Ihr Nase kommt mittig wieder zum Stehen. Sie macht eine eigenartige Bewegung, fixiert mich, als wolle sie nach mir hacken. Mich fröstelt. Das Bild friert ein, wie ein filmischer Fade out, wird grauer und grauer, bis es entschwindet wie die Katze um das Grinsen.
Mein Magen zwickt. Dann die Galle. Doch weit und breit keine Schneeeule, geschweige denn ein Adler, der sich an meiner Leber labt. Ich spreche beruhigend auf meinen Körper ein. Belobige ihn mit ausgewählten Worten ob seiner hervorragenden Arbeit. „Ich weiß um deine Leistung, die schweren Entscheidungen: wohin die Brigade als erstes schicken bei so vielen Scharmützeln!“ Er hört das Lob, da bin ich sicher. Aber ewig diese Balance halten auf den immer neu entflammenden Feldern… wann neigt sich die Munition dem Ende zu. Und selbst bei intensiver Pflege bleibt die Infrastruktur nicht endlos stabil.
Die Schneeeule sitzt auf meiner Brust. Eulen sind fähig, stundenlang in Stille zu verharren. Sie starrt mich an. Edel sieht sie aus. Gleichzeitig gefährlich. Vorbotin der Hölle? Gesandte des Todes? „Such es dir aus …,“ wispert sie und hackt nach mir. Ich wehre sie panisch ab.
Müde reibe ich mir die Augen, schalte den Fernseher aus, und wanke ins Bett. Körper und Geist brauchen dringend Ruhe. Morgen steht ein wichtiger Termin an.
© Ursel Schmid. Bild "Schneeeule lizenzfrei von Pixabay.
Das Herz sticht. Auf bisher ungewohnte Weise. Gott hilf mir! Wie in einem alten Heimatfilm, der Gedanke schießt in Überschallgeschwindigkeit durch ihr Gehirn. Welcher Gott? Sie presst die Lippen aufeinander. Ob ihr Arzt extra nichts gesagt hat? Herzversagen, ein gnädiger Tod. Im Vergleich zum langsamen Ersticken, das ihr zugedacht ist. Der Brustkorb hebt und senkt sich. Ein Ziehen von innen, wie das Raspeln eines Parmesanhobels. Es mahnt sie zur Ruhe. Vor ihren Augen schält sich das Bild einer Frau heraus. Verhärmtes Gesicht. Kalter Blick. Die Finger heben an, das Kreuz vor der Brust zu zeichnen. Das personifizierte Leiden Christi, durchsetzt mit Strähnen von Feindseligkeit. Sie schüttelt sich. Verdrängte Wut quillt aus den Augen ihrer Mutter. Dieser Blick pinnt sie an die Wand, unfähig, davonzulaufen. Der Hass ist in sie übergegangen. Wütet in ihrer Lunge, frisst ihren Atem auf. Sie legt die Hand auf die Brust. Das lachende Gesicht ihrer Schwester drängt sich in ihr Gesichtsfeld. Zeit, ihr zu folgen in dieses unbekannte Jenseits, in das sie einst ihr Stalker beförderte. Der Stich wird scharf, dehnt sich aus, schwillt an ins Unerträgliche. Nimm mich, wispert sie, ich bin bereit.
© Ursel Schmid
Der Himmel ist graublau. Mein Rücken auf dem harten Asphalt schmerzt, als trüge ich ein Kreuz. Mich beunruhigt, dass mein Bauch sich völlig ungeschützt dem Horizont entgegen reckt. Wenigstens federt das rote Fellkleid mit dem puscheligen Unterteil die Ungemütlichkeit ab. Wie bin ich in diese missliche Lage geraten?
Der Schlag vom fetten Nachbarkater war gewaltig. Ich bin sofort davongewetzt. Dämlicher Garfield. Meine Kraft ist nicht mehr so wie früher, grr. Da lieg ich nun wie ein Käfer auf dem Rücken.
Ein blaues Gefährt bremst ab, rollt langsam näher und kommt zum Stehen. Eine Frau steigt aus, sie schlägt die Hände vors Gesicht, ihre Augen werden tellergroß. Hilfesuchend sieht sie sich um. Autos stapeln sich vor und hinter ihr. Sie stutzt, ich sehe ihren ratlosen Blick. Ein warmes Rinnsal läuft aus meinem Mund zum Hals. Der Himmel ist so blau. Wie der Wagen. Jetzt wird es schwarz.
© Ursel Schmid
Ich liege gekrümmt auf dem Asphalt, Schockstarre ergreift den Körper. Regungslos starre ich auf die fauchenden metallenen Ungetüme um uns. Sie verschwimmen vor mir, ich bin kurzsichtig. Ein Schatten fällt auf meinen Körper, zwei fleischfarbene Klötze nähern sich. Entmutigt schließe ich die Augen. Schicksalsergeben.
„Schaut euch mal dieses faule Wesen an, liegt mitten auf der Straße und hält den ganzen Verkehr auf. Grinst frech, und dieser übertriebene Lidstrich, uh!“ Da mag mich jemand so gar nicht leiden. Dabei bin ich sonst der Inbegriff der Gemütlichkeit. Soll ich das sein? Faultier? Naja, zugegeben, ich bewege mich sehr langsam. Heil über so eine frequentierte Straße zu gelangen ist eine sportliche Leistung! Hab ich unterschätzt, ich kann nicht mehr. Die Fleischstumpen kommen näher. Starke Pranken greifen mir unter die Arme. Ich versteife mich völlig. Was passiert hier? Die Hände heben meinen schmalen Körper von der Straße, spazieren an den Rand. Ein Baum kommt ins Sichtfeld. Erleichtert nehme ich wahr, dass der Beschützer meine Arme um einen Ast schlingt, an dem Blätter hängen. Was für ein Glück! Ein paar davon werden mir das Abhängen in den nächsten Stunden erleichtern. Dankbar lächele ich meinen Retter an und höre im Hintergrund Applaus und Rufe: „Held des Tages“. Die meinen nicht mich! Ich bin das Faultier, das er gerettet hat. Genüsslich rupfe ich an einem Blatt und schlafe auf der Stelle ein.
© Ursel Schmid
Neulich sah ich ein Filmchen und setze mir den Impuls, darüber eine Geschichte zum Perspektivwechsel zu schreiben.
Natürlich bin ich: Ein Faultier :-))
© Ursel Schmid
Sarah hatte eine miserable Nacht hinter sich. Sie hatte gegrübelt, ob die Dinge eine Seele hätten. Morgens rieb sie sich die Augen und schlüpfte
in ihre Pantoffeln. Jäh durchfuhr sie der Gedanke, ob diese nun erbost aus ihrem Schlaf gerissen wurden, um ihre schwere Last ins Badezimmer und die Küche zu schleppen. Andererseits hatten sie
schon wohnliche Kuhlen um ihre Zehen gebildet. Klang nach einer symbiotischen Beziehung.
Sarah schüttelte unwirsch den Kopf und schlappte zum Waschbecken. Schlaftrunken griff sie zu Zahnbürste und Cremes, schon ging’s los. Ob die Bürsten ihre Nase angewidert hochzogen, wenn sie in
ihre Mundhöhle eintauchten? Ein Wunder wär’s nicht, fand Sarah… manchmal konnte sie ihren eigenen Atem nicht leiden. Sie hatte mal einen Artikel gelesen, dass alte Menschen aufgrund der schnellen
Zellalterung derber rochen als junge Lebewesen. Na Halleluja, sie war vermutlich eine Zumutung für ihre gesamte Wohnung, falls alle Gegenstände darin Empfindungen hatten! Die Waschlappen, wenn
sie mal ihre morgendliche Waschroutine statt Dusche vollzog. Achselschweiß, von anderen Regionen ganz zu schweigen. Sarah grinste. Zeit für die Klamotten. Letzthin schlabberten die an ihr herum.
Die Hose schrie vermutlich vehement nach einem Gürtel, um nicht zu stürzen. Sich ohne Finger festzuhalten, für das Kleidungsstück ein Ding der Unmöglichkeit. Die Pullis hingegen schmiegten sich
in bunten Farben an ihre Brust. Sie schienen zufrieden. Sarah war beruhigt. Zeit für ihren Morgenkaffee. Schnell schäumte sie Milch in der Maschine auf. Sie brummte los. Ob sie jedes Mal meinte,
sie könne nach Mallorca abheben, um dann resigniert auszuhauchen, auf ihrer Unterschale zum Stillstand zu kommen und den schneeweißen Schaum herauszurücken? Sanft streichelte sie das Gehäuse. Das
Sofa schien sie sehnsuchtsvoll zu erwarten und hauchte leise, als sie sich setzte. Sarah befühlte es entzückt. „Ach du meine gemütliche Welt, ich liebe euch Dinge hier alle, danke, dass ihr für
mich da seid“. Ein warmer Luftzug ging durch die Wohnung, als würde alle ein leises „sehr gerne“ wispern. Sarah lächelte und kuschelte sich in ihr Sofa unter die Decke.
© Ursel Schmid
Der Hund
Der Hund läuft auf ganz eigene Weise,
Er robbt, und ist dabei sehr leise.
Es fehlen ihm die Hinterbeine,
Die frassen seinerzeit die Schweine.
Als Welpe fiel er in den Trog,
Als Emma in den Stall ihn zog.
Vom Sturz ganz platt lag er halbtot,
bei Allesfressern dort im Kot.
Das Quieken, Schreien, hört der Bauer,
Fühlt sich gestört und wird gleich sauer,
Rennt hin, entzieht mit roher Kraft
den Welpen aus dem roten Saft.
Emma baut ihm gleich ein Gestell,
Mit lautem freudigen Gebell
rennt er mit Rädern fest am Hintern
im Wettlauf fröhlich mit den Kindern.
Im Sommer geht’s mit an den See,
Er fühlt sich leicht wie eine Fee,
so robbt er froh am seichten Rand,
vor Freude außer Rand und Band.
Mühsal und Plage ist sein Leben,
Doch Schwere wird so leicht wie Schweben.
Die Freundeshilfe gibt ihm Kraft,
Er fühlt geborgen sich, voll Kraft.
© Ursel Schmid
Der Tod sitzt mir auf der Schulter. Mit munteren Äuglein schaut er mich an.
"Du hockst in letzter Zeit ziemlich häufig hier und belästigst mich mit deiner Anwesenheit."
Er gelingt mir nicht, die Schärfe aus meiner Ansage herauszunehmen. Belustigt zwinkert er.
"Stör ich dich etwa? Du weißt doch, 'es gibt nichts Schlechtes ohne etwas Gutes'."
Seine Nase wackelt, plötzlich funkeln seine Augen diabolisch. "Ich kann nicht leugnen, dass meine Besuche mir Spaß machen! Du bist ein ordentlicher Gegner. Lässt dich nicht so leicht in die Wüste schicken. Wieso hast du nicht mehr Respekt vor mir?" Seine Mimik friert ein.
Nun ist es an mir, zu zwinkern. "Ernsthaft, jetzt?" Ich lache ihn an ... oder aus? "Du fliegst seit acht Jahren auf meine Schulter, fährst deine Krallen in mich hinein und versuchst, mich zu Boden zu hauen. Ha, du hast nicht mit meiner Fähigkeit gerechnet, dir zu widerstehen. Ich bin großer Monty Python Fan, du alter Haudegen. 'Ritter der Kokosnuss'? Ich kämpfe bis zum blutigen Ende." Seine hämische Lache lässt meine Knochen klirren. Ich starre ihn an, bis er die Augen niederschlägt.
"Du hast mir den linken Arm abgeschlagen, dann den rechten. Gnadenlos weitergemacht mit den Beinen. Aber hier bin ich! Mein Kopf ist munter und gibt dir Paroli."
Irritiert zwickt er mich in die Brust, ich schreie auf. "Ich krieg dich, du Revoluzzer. Ist nur eine Frage der Zeit." Ich schaue intensiv in seine schwarzen Pupillen und denke: Auch deine Zeit. Gewiss, er hat mehr davon als ich...
"Ich weiß", kontere ich mit fester Stimme, "aber jetzt noch nicht!"
Er fliegt mit weit ausgebreiteten Schwingen von meiner Schulter fort.
© Ursel Schmid
„Was machen die da oben den ganzen Tag lang, Kaffee trinken und Löcher in die Decke starren? Wir haben hier unten gleich eine offene Stelle, wenn die den Hintern nicht hochkriegen.“
Blas zieht scharf die Luft ein und stellt seinen Kaffeebecher auf die Konsole.
„Mann, Zelle, reg dich ab. Die haben totalen Personalmangel und wissen gar nicht, wie sie die Lücken stopfen sollen. Wir legen da sofort einen Schutzfilm drüber, das wird schon!“ Blitzschnell schickt er den Auftrag raus und wirft dabei fast seine Tasse um.
In der Zentrale herrscht dicke Luft. Hirni kaut auf seinem Kuli herum und schaut sich empört um. „Das haben die jetzt nicht wirklich gesagt, oder, Jungs, Mädels? Die wissen doch genau, dass hier die Megakrise tobt, seit die neue Analyse vorliegt. Wir haben so viele Baustellen zu bedienen … bei dem Bestand an Fachkräften gar nicht zu schaffen.“
Amygda schüttelt vehement den Kopf. „Genau, das bisschen Blasenbildung an der linken Außenhaut ist doch Peanuts. Es gibt keinen anderen Weg, als erstmal hier an der Schaltzentrale zu flicken, sonst nippelt uns das ganze System ab.“
Häma schaut Amygda tadelnd an. „Hey, ich verstehe sie trotzdem. Jeder Außenposten kämpft um sein Bestehen, und Ausfälle sind schwer zu verkraften. Das ist halt ihr Revier, jeglicher Schaden schmerzt.“
Amygdas Mund presst sich zu einem schmalen Strich zusammen. „Hm, klar. Aber wenn sie nicht kapieren, dass wir die Führung übernehmen, damit die Ressourcen koordiniert und zielgerichtet eingesetzt werden …“. „Schon gut“, murmelt Häma.
Irritiert betrachtet Alveola ihren Monitor. Ein riesiges rotes Warnlicht blinkt, auf einmal ertönt ein tiefes Brummen und eine Alarmsirene schrillt los. Hektisches Hämmern erfüllt die Schaltzentrale.
„Wir haben ein ganz anderes Problem, Houston.“
Blitzartig dreht sie sich zu Odem um. „Schnellstens das Spezialsquad einsetzen! Die müssen ins Hauptrohr, da hat sich was festgesetzt. Sofortiges Aufräumen der Schnelltruppe anweisen! Keine Zeit zu verlieren, sonst büßen wir die Einheit ein. Zu langsame Bereinigung führt zum Totalausfall der Transportwege.“
Das gesamte Team ist in Alarm und bedient im fliegenden Tempo sämtliche Schalter. Alle Köpfe sind auf die Monitore konzentriert. Die Luft steht, der Schweiß in der Luft erschwert das Atmen. Seit die Sirene verstummt ist, könnte man eine Stecknadel fallen hören.
Schlagartig ertönt eine weiche warme Stimme aus dem blechern scheppernden Lautsprecher.
„Danke, Leute, hier spricht euer Commander. Ihr macht einen fantastischen Job, gebt echt alles. Der Einsatz hat mal wieder gewirkt. Reparatur erfolgreich. Wir sind stabil. Zusammen haben wir schon manche Krise überwunden. Eines Tages wird unser Schiff an den Folgen des Einschlags kaputt gehen. Aber nicht jetzt!“
© Ursel Schmid
Audiria hatte schon immer das Gras wachsen gehört. Sie neigte sich leicht in die Richtung, in der sie Gedanken rascheln hörte. Zart fingerte sie nach den Fäden der Seele ihres Gegenübers, still erforschend, was zum Glück dieses Erdenbürgers notwendig sei. Ihr Gehirn fing an, sich zu drehen wie eine wildgewordene Handspindel. Sie spulte immer mehr Gedankengespinste auf ihre Spule, bis sie rund war wie ein Kugelfisch. Das Gespinst hin und wendend, horchte sie hinein, entwirrte das Knäuel und zog den Hauptfaden heraus. Sie stellte damit eine Verbindung zum traurigen Erdenkind her, schickte ihre Idee auf den Weg durch den Äther, und schaute lächelnd zu, wie Ruhe in den Augen ihres Gegenübers einkehrte. Nie schlief sie besser, als wenn sie die Nöte anderer entwirrte.
„Mein Kind, ich bin stolz auf dich, aber wer windet deine Ängste und Sorgen auf seine Spule und entflicht sie? Wirst du nicht eines Tages im Dickicht dieser Gedanken und Gefühle eingewickelt zurückbleiben, verknotet und einsam?“
Audiria schüttelte den Kopf, Fältchen bildeten sich in ihren Mundwinkeln. Ihre Seele weitete sich. „Mutter, in meinem Inneren ist große Kraft und Raum. Vertrau mir.“
Die Mutter nickte und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Sanft strich sie ihrer Tochter über die schwarzen Haare. Ihr Blick verschleierte sich.
Audiria wuchs heran zu einer stattlichen jungen Frau. Ihre blasse Haut und die großen braunen Augen ließen sie mädchenhaft erscheinen. Sie schien wie auf Federn durch das Leben zu gleiten, die Ohren gespitzt, die Hände Sorgen aufnehmend wie riesige Rhabarberblätter den Regen empfingen. Ihr Körper blieb zart und anfällig, doch ihre innere Kraft ließ sie alle Wege meistern. Immer stärker wurde ihre seelische Leuchtkraft.
Eines Tages begegnete ihr eine ältere Frau. Beide Seelen berührten sich, flochten Zöpfe aus ihren Herzensfäden, verbanden sich mit luftigen Tüchern. Sie schrieben Worte in die Wolken und den Wind. Die Zeit verging unbeschwert, erfüllt von Lachen und Austausch. Bis eines Tages ein schwerer Brocken den Leib der älteren Freundin erfasste. Videna beugte sich dem Schicksal, nahm die Herausforderung an. Ihr Blut lief heiß, rann wie Gift durch ihre Adern. Graue Decken umwickelten ihre Gedanken und strömten lähmend in ihre Muskeln. Audiria sah, wie ihr Kopf sich senkte, die Glieder erschlafften und das Feuer aus ihren Augen entschwand.
„Ach, könnte ich dir nur diese Last abnehmen, es leichter für dich machen. Dein Los mittragen. Eine wahre Entlastung sein. Ich würde es tun.“
Ihr Körper, ihr Geist hörten die Worte im Inneren, spannten ihre Muskeln an, wappneten sich für die Aufnahme neuer Last. Audirias Spindel schwang im Kreis wie eine wildgewordene Zentrifuge.
Langsam kehrte Ruhe ein. Videna hatte die grauen Wolken besiegt, frische Kraft bäumte sich in ihr auf. Ihr Körper richtete sich seit Neuem wieder in die Höhe, trotz mehrfacher gewaltiger Schläge mit der Spindel. Sie malte Worte in Wind und Wolken und wandte sich dem Licht zu.
Audiria wandelte mit ihr um die Bäume herum, blies Pusteblumen und strich über weiches Tierfell, bis die Fingerspitzen lächelten. Sie beobachtete die Blumen, sortierte ihre Gedanken und malte Wege auf. Tief im Inneren breitete sich dennoch ein nagendes Gefühl aus, das ihre Knochen lähmte. Hatte sie ihrer mageren Spindel zu viel zugemutet?
Videnas Haut wurde wieder rosiger, die Stirn glättete sich. Sie warf kraftvoll ihre Geflechte aus und fand manch neuen bunten Fisch. Audiria betrachtete sie mit Neugier und Wohlwollen. Zusammen bastelten sie an weiteren silbrigen Netzen und schleuderten sie gemeinsam lachend in die Welt.
Doch nach geraumer Weile geriet Audirias Körper ins Wanken. Die zarten Knochen trugen sie nur langsam. Mit trübem Blick sah Videna, wie ihre Freundin immer durchscheinender wurde.
„Ach, Audiria, könnte ich doch nur dein Leid in mir aufnehmen, es lindern, damit du wieder groß und aufrecht durch die Welt schreiten kannst, wie es einer jungen Frau gebührt. Kraftvoll die bunten Blüten des Lebens einsammeln. Ich würde es tun!“
Videnas und Audiras Körper schienen einen Dialog miteinander zu führen, sie tanzten umeinander herum, welche Spindel solle die verwirrten Gedanken aufnehmen. Beide Spindeln waren überbordend gefüllt. Zu voll. Von oben schaute ein silbriges Licht auf sie herunter, funkelte auf ihre mageren, doch zart lächelnden Augen und ließ sie in ihrem Strahl glänzen. Auf einmal fingen die im silbernen Lichtstrahl glänzenden Fäden auf ihren Spindeln an zu tanzen. Sie glitten immer schneller von der Spule und rankten sich nach oben in die vom Firmament her leuchtende Helligkeit, wanden sich hinauf. Die Spulen drehten sich wie tanzende Derwische, ihre Fadenlast wurde schmaler. Langsamer drehten sie sich, immer verhaltener, die letzten Fäden wurden nach oben gezogen. Die Spulen waren von ihrer Last befreit. Am Himmel erstrahlte ein freundliches rosiges Licht.
© Ursel Schmid